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Auf den Spuren eines Kshatriya 2 – Eine Reise in die Vergangenheit in ein früheres Leben

  • Anja
  • 13. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit

„Im Rhythmus der Schienen – auf der Spur alter Leben“


Der Flug von Deutschland nach Delhi hebt pünktlich am Abend ab. Dieses typische Summen kurz vor dem Start, die nicht leisen Gespräche, das Klirren der Servierwagen – alles fühlt sich an wie der Auftakt zu etwas, das man schon kennt, aber wieder erleben darf. Ein Glas Weißwein, das erste Abendessen in der Luft – irgendwas mit Sauce, das nach Indien und Vorfreude schmeckt. Ich lehne mich zurück, schaue aus dem Fenster, sehe unter mir die Lichter, vielleicht von Istanbul, verschwimmen. Es ist Nacht, irgendwo zwischen Himmel und Erwartung.

Als ich in Delhi lande, ist es kurz nach Sonnenaufgang. Noch im Flugzeug kündigt sich das neue Tempo an: Niemand hat es eilig, aber jeder bewegt sich. Eigentlich haben die Inder die Ruhe weg – nur nicht, wenn es heißt aus dem Flieger auszusteigen.

Die Immigration – ein Geduldsspiel mit lächelnden Gesichtern im Schneckentempo. Ein Beamter tippt unbeeindruckt meinen Namen in den Computer, mustert mein Passfoto, dann mich, nickt schließlich: Welcome back, Madam. Ich lächle. Back – ja, das trifft es eigentlich ganz gut.

Das Gepäckband ist ein Schauspiel für sich. Riesige Koffer, Plastiktüten, Kinderwagen, und dazwischen ein brauner Karton, kunstvoll umwickelt mit sieben Lagen Tesaband – irgendjemandes ganzer Hausstand. Nichts davon irritiert jemanden. Hier ist es normal, dass das Leben in Kisten reist.

Nach einer Weile taucht auch mein Koffer auf. Ein kurzer Moment der Erleichterung – er hat’s geschafft. Ich schiebe ihn durch die Halle, vorbei an Menschen, die in Gruppen sitzen, lachen, warten.

Noch fünf Stunden bis zum Weiterflug nach Kochi. Zeit für Frühstück. Ich finde ein Café mit dem verheißungsvollen Namen „Café Delhi Heights“, wo der Filterkaffee nicht nach verbranntem Zucker riecht aber das Croissant aussieht, als habe es die letzten drei Nächte im Duty-Free verbracht. Egal. Ich bin angekommen. Spontan noch ein ganz schnelles Treffen mit meinem ehemaligen Vermieter von Delhi, auf eine Tasse Chai.

Zwischendurch kämpfe ich mit dem WLAN, das sich alle paar Minuten erfolgreich „verbindet“, um sich kurz darauf beleidigt wieder zu trennen. Er lacht junger Mann mit Smartphone lächelt und meint: , Network in India… always meditating.“ Ich lache laut. Er hat recht.

Ein paar Stunden später: Boarding nach Kochi. Die Maschine ist voll, die Luft riecht jetzt schon anders, nach Jasmin, Parfum und Curry. Der Pilot murmelt etwas Unverständliches ins Mikro, und als wir über den Süden fliegen, glitzern unter uns Flüsse, Reisfelder und dichte grüne Teppiche von Palmen.

Als das Flugzeug in Kochi landet, schiebt sich die feuchte Luft durch die Türen – warm, schwer, vertraut. Der Flughafen ist modern, aber das Chaos liegt trotzdem in der Luft.

Ich hole meinen Koffer (diesmal ohne Tesaband-Abenteuer) und folge der Menschenmenge nach draußen.

Vor dem Terminal: hupende Autos, Rufe, Lachen, Gewusel. Zwischen all dem steht ein Teeverkäufer mit einem kleinen Aluminiumkessel, aus dem Dampf wie Nebel aufsteigt. Ich nehme einen Masala Chai. Der Geschmack – süß, würzig, cremig – trifft mich mitten ins Herz.

Ich lehne mich an eine Säule, sehe dem Treiben zu. Männer in weißen Lungi gehen an mir vorbei, Frauen mit glänzenden Haaren, mit Blumen darin, Kinder mit irgendwelchen Taschen, die fast größer sind als sie selbst. Und ich denke: Ja. Hier beginnt es wieder.

Jetzt suche ich mit ein Taxi, was ja in Indien nicht schwer ist. Der Fahrer wippt wie es sich gehört mit dem Kopf, er kennt mein Ziel: Aluva Bahnhof. Ich nicke, wir verhandeln kurz pro forma – es gehört zum Ritual. Das Vehikel röhrt los, die Scheiben beschlagen, die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, so dass mein Schal sehr nützlich ist, und am Armaturenbrett wippt eine Ganesha-Statue im Takt zum Auto. Wir fahren durch die tropische Dunkelheit, vorbei an Kokospalmen, kleinen Dörfern, Tempeltürmen mit Lichterketten.

Am Bahnhof herrscht dieses typische indische Gewimmel, das gleichzeitig anstrengend und aufregend ist – Stimmen, Rufe, das Zischen von Teekannen, das quietschen von Rädern auf Gleisen und die Ansagen aus den Lautsprechern. Ich setze mich auf eine Bank, es ist mittlerer Weile dunkel in Indien. Die Luft ist warm, der Geruch von allem Möglichen liegt in der Luft, und überall dudeln Handys.

Der Bahnsteig leert und füllt sich und ich beobachte das Treiben. Bettler laufen vorbei, Frauen mit Gepäck und Kindern, Männer mit Aktentaschen und natürlich Hunde, welche überall nach freundlichen Spenden betteln. Schließlich rollt der Nachtzug ein – ein sehr langes, schweres quietschendes Gefährt aus Stahl und Geschichte.

Ich finde meinen Platz am Fenster, schiebe den Koffer unter die Schlafbank und lehne mich zurück. Noch bevor der Zug losfährt, taucht ein Foodwallah auf – ein Mann mit Tablett und einem Lächeln, das wahrscheinlich selbst den ärgsten Jetlag heilen könnte.

„Samosa, Madam? Very good. Hot-hot!“ Ich nicke, nehme ein Stück, dazu eine gefüllte Teigtasche, deren Inhalt ich besser nicht zu genau wissen will, aber es riecht köstlich – würzig, buttrig, mit einem Hauch von Chili. Dazu zwei Dosen Diet Coke – Luxus auf indischen Gleisen – und noch eine Flasche Wasser, falls die Nacht lang wird.

Ich balanciere das kleine Abendessen auf dem ausklappbaren Tischchen, während der Zug langsam anrollt. Ein leises Rucken, dann Bewegung und draußen zieht Kerala vorbei: Schatten von Palmen, glitzernde Kanäle, ein Tempelchen, und Auto- oder Motoradlichter.


Ich beiße in die Samosa – knusprig, heiß, ein bisschen scharf aber lecker – und muss lächeln. Der Wagen wiegt sich im Rhythmus der Gleise, das Licht flackert, jemand schnarcht, jemand lacht. Überall Leben.

Langsam verschwinden die letzten Lichter der Stadt, und das Fenster zeigt nur noch schwarze Nacht. Irgendwo da draußen liegt das vergangene Cheranadu –  das Land, in dem alles begann.

Ein Gedanke schleicht sich ein, leise und unerwartet: War ich hier schon einmal?

Vielleicht – irgendwann, vor langer Zeit.?

Vielleicht ritten hier einst Krieger durch die Nacht, bevor die Wege zu Schienen wurden. Vielleicht war einer von ihnen auf der Suche – so wie ich jetzt.


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Der Beginn einer Reise, die nicht nur physisch ist, sondern eine Suche nach meiner eigenen Vergangenheit – nach einem Leben, das weit zurückreicht, in eine Zeit, in der ich vielleicht ein Krieger in Cheranadu war.“


Der Zug rattert gemächlich durch die Nacht – dieses typische, beruhigende tak-tak, tak-tak der Räder, das wie ein Herzschlag klingt. Draußen zieht ein endloses Schwarz vorbei, nur ab und zu durchbrochen von einem fernen Licht oder einem kurzen Blick auf ein Dorf, das im Dämmer schläft.

Ich habe mir meinen kleinen Platz zurechtgemacht: das Kopfkissen fluffig geschüttelt, das dünne Laken glattgezogen, mein Rucksack ordentlich unter die Bank geschoben. Über mir das leise Surren des Ventilators, an der Wand die Steckdose, in die ich mein Telefon stecke – das rote Lämpchen zeigt brav an, dass es lädt.

Ich lege mich hin, ziehe das Laken bis zur Schulter und spüre, wie der Wagen sanft schaukelt. Die rhythmischen Bewegungen des Zuges wiegen mich in einen seltsam tiefen Schlaf. Es ist, als würde mich der Zug selbst tragen, weiter und weiter, durch die Dunkelheit, durch das Land, das nie ganz still ist.

Manchmal öffne ich kurz die Augen, höre ein entferntes Rufen auf dem Bahnsteig, das Zischen der Bremsen, das Rumpeln von Schienenstößen – und dann wieder dieses gleichmäßige klack-klack, klack-klack.

Ich drehe mich auf die Seite, kuschle mich ins Kissen und denke, wie gut man in einem indischen Zug schlafen kann – wenn man sich einfach dem Rhythmus überlässt. Alles andere, verliert sich irgendwo zwischen den Rädern und der Nacht.

 

 

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