top of page

Auf den Spuren eines Kshatriya 5 – Eine Reise in die Vergangenheit - in ein früheres Leben - Devaraja-Markt

  • Anja
  • vor 4 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Der Morgen beginnt warm und ein bisschen frech – die Sonne blinzelt durch den Vorhang, als wollte sie sagen: „Komm, heute wird’s schön.“ Ich murmele ein „gleich…“, fummle den Wasserkocher an, rühre meinen Löli-Kaffee zusammen und lasse mich kurz wieder auf die Bettkante fallen. Der Ventilator surrt wie immer – vertraut, leicht nervig, aber typisch Indien. Eine schnelle Dusche, leichte Klamotten, Haare zusammengebunden. Der Tag gehört mir.

Draußen ist es warm, aber nicht zu heiß. Ich gehe zum Pool, werfe mein Handtuch auf eine Liege und lasse mich einfach treiben. Der Himmel ist klar, ein paar Gäste schwimmen gemächlich ihre Bahnen, andere blättern in Reiseführern. Ich liege im Wasser, schaue auf Palmen, höre leises Vogelgezwitscher und denke: Es ist verrückt, wie schnell man in Indien in einen anderen Rhythmus fällt. Alles ist lauter und chaotischer – aber gleichzeitig langsamer, weicher.

Nach ein, zwei Stunden mache ich mich fertig für den Devaraja-Markt. Ein Tuktuk bringt mich hin, im bekannten hupenden Zickzack durch Mysore. Schon beim Aussteigen kommt mir dieser typische Marktmix entgegen – Blumen, Gewürze, Stimmen, Motoren.


Drinnen ist es schattig, ein bisschen dunkel. Die Gänge sind eng, die Luft dicht. Hunderte Blumenketten in Orange, Gelb, Weiß hängen in langen Bögen. Händler sitzen auf dem Boden, schichten Jasmin, Nelken, Rosenblätter. Ein alter Mann wiegt Bananen ab, eine Frau verkauft Betelblätter, ein junger Bursche stapelt Tomaten in eine Pyramide, die garantiert gleich einstürzt.

ree

Der Boden ist leicht feucht, irgendwo quietscht ein alter Ventilator, ein Radio dudelt Bollywood-Klassiker. Zwischen den Gewürzen riecht es mal nach Nelken, mal nach Diesel, mal nach Räucherstäbchen.

Dann entdecke ich ihn: meinen Räucherstäbchenjungen. Kleiner Stand, kaum ein Quadratmeter, aber voll mit Päckchen, Schachteln und losem Pulver. Er sieht auf, erkennt mich sofort und strahlt, als hätte er auf mich gewartet. „Madam! You came back!“


Ich setze mich auf das wacklige Holzschemelchen neben ihm. Er gießt Tee in winzige Gläser – viel zu heiß, viel zu süß, aber perfekt. Wir reden kurz, lachen, und ich beobachte, wie er geschickt Stäbchen rollt, als hätte er nie etwas anderes getan. Seine Hände riechen nach Sandelholz, und irgendwie fühlt sich dieser kleine Moment an wie ein Zuhause auf Zeit.

ree

Ich kaufe ein paar Päckchen – Sandel, Rose, Meditation – und er legt eines extra dazu, „for good luck“. Typisch Indien: immer ein bisschen mehr Herz, als man erwartet.

Draußen schlägt mir die Sonne entgegen, als hätte ich ein Kapitel abgeschlossen und ein neues beginnt. Ich nehme ein Tuktuk zum Palast – heute erst am Nachmittag, damit ich den Wechsel ins Licht erleben kann.


Der Mysore-Palast wirkt zuerst still und golden, als würde er nur darauf warten, dass der Abend kommt. Die Architektur ist riesig, aber nicht einschüchternd – eher elegant, mit diesen typischen Kuppeln und Bögen, die wirken, als wären sie aus einer anderen Zeit herübergerutscht. Ich laufe durch die Höfe, schaue mir die Hallen an, die Glasmalereien, die alten Wandmalereien der Wadiyars. Und irgendwie spüre ich diese Mischung aus Macht und Vergänglichkeit.

Als es dunkler wird, strömen immer mehr Menschen nach draußen. Familien, Paare, Studenten, Touristen mit Kameras. Alle warten auf dasselbe.


Dann klickt irgendwo ein Schalter – und plötzlich leuchtet der Palast auf wie ein goldenes Märchenschloss. Tausende kleine Lichter fassen die ganze Fassade ein, jede Linie, jede Säule, jede Kante. Es glitzert, als hätte der Himmel beschlossen, mal kurz auf die Erde zu steigen.


Ich stehe einfach da, atme tief ein und schaue. Es ist kitschig, ja. Aber es ist auch verdammt schön.

ree

Die Menschen um mich herum machen Fotos, Kinder rennen herum, ein Straßenmusiker spielt Tabla. Die Stimmung ist warm, und ich fühle mich seltsam leicht – als hätte der Tag mich einmal komplett durch Indien geführt: vom ruhigen Pool über den chaotischen Markt bis in diesen goldenen Abend.


Als ich später zurückfahre, zieht die Stadt still an mir vorbei. Blumenstände, Lichter, Mopeds, Schatten. Und in meiner Tasche duftet es nach Sandelholz.

Auf meinem Zimmer schalte ich zuerst die Klimaanlage ein, dann lasse ich mich aufs Bett fallen. Die Füße melden sich, der Kopf ist voll – aber angenehm voll. Ich räume die kleinen Räucherstäbchenpäckchen nebeneinander auf den Tisch, als wären sie Souvenirs aus einer anderen Welt.


Ich trinke ein großes Glas Wasser, ziehe die Schuhe aus und öffne kurz die Vorhänge. Von hier oben sehe ich ein paar Lichter, Palmen, das leise Flackern eines Straßenstandes. Mysore wirkt nachts ruhiger, fast höflich. Als würde die Stadt sagen: „So. Jetzt atmen wir mal.“


Ich dusche den Staub des Marktes ab – Kurkuma, Blumen, Sandelholz, das ganze Programm, das den Tag auf der Haut hinterlässt. Danach bestelle ich mir etwas Einfaches aufs Zimmer: Reis, Dal, ein paar Papad. Warm, würzig, vertraut. Während ich esse, scrolle ich durch die Fotos des Tages.


Der Räucherstäbchenjunge: sein Lächeln, seine Hände, sein winziger Stand.

Der Palast: zuerst ruhig, dann dieses irre Leuchten, das ich bestimmt zehnmal fotografiert habe.


Und zwischen den Bildern taucht ein Gedanke auf, den ich den ganzen Tag nur halb zugelassen habe:

Was ist so toll an Mysore?


Vielleicht, weil die Stadt zwei Gesichter hat: das chaotische, laute, lebendige – und das alte, würdige, fast königliche. Vielleicht auch, weil ich mich hier immer wieder daran erinnere, dass Indien nicht nur „neu“ ist, sondern Schichten hat. Tiefe Schichten. Geschichten, die unter der Oberfläche liegen wie diese alten Gewölbe im Palast.

Ich denke an die Wächterfiguren, die bunten Bögen, die riesigen Hallen. Und wie ich dort stand und mich gefragt habe, wie viele Herrscher, Beamte, Krieger, Kshatriyas durch diese Räume gegangen sind – ob sie wussten, dass die Zukunft sie irgendwann nur noch als Silhouetten in einem Touristenhandy kennt.


Vielleicht ist es genau das, was mich so reizt: India hat keine Angst vor Vergangenheit. Sie ist einfach da. Mitten auf dem Markt, in den Tempeln, in Gesichtern, Gerüchen, Farben. Die Cheras, die alten Kshatriyas, die Krieger und Könige – manchmal denke ich, dass diese alten Geschichten mir hinterherlaufen, schon seit Tagen. Nicht greifbar, aber spürbar.


Bevor ich schlafen gehe, öffne ich noch einmal kurz das Fenster. Ein Windhauch kommt herein, warm und mit einem leisen Duft nach Abendessen von irgendeiner Garküche unten an der Straße. Ein Hund bellt. Irgendwo klingt eine Motorradkette.


Ein guter Tag. Ein richtiger Indientag.



Kommentare


bottom of page