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Auf den Spuren eines Kshatriya 3 – Eine Reise in die Vergangenheit in ein früheres Leben - Mysore

  • Anja
  • vor 6 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Mysore: Stadt des alten Stolzes


Die Nacht im Zug ist eine Welt für sich. Irgendwo schnarcht jemand mit beeindruckender Ausdauer, ein Baby quiekt zwischendurch, und aus dem Gang kommt immer wieder das leise Rattern der Lüftung, aber eigentlich schlafe ich wirklich gut im Rhythmus der Rädern und wache irgendwann kurz nach Sonnenaufgang wieder auf.

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Der Zug rollt gemächlich durch sattgrüne Landschaften, Palmen, Reisfelder, kleine Dörfer mit Wellblechdächern und flatternden Saris auf der Leine. Das Licht ist milchig, die Luft noch kühl.

Zeit für die morgendliche Routine – so gut es eben geht auf einer indischen Zugtoilette. Ich balanciere auf der wackelnden Metallplatte, versuche, Zähne zu putzen, während der Zug in voller Fahrt (50kmh) schaukelt. Am Waschbecken im Gang steht bereits ein Mann in Unterhemd, der sich mit Hingabe das Gesicht wäscht, dabei seelenruhig Wasser auf alle Seiten verteilt – inklusive mir. Ich kann nicht böse sein. Es ist Indien: Alle waschen sich, wo Platz ist, und alle tun es mit erstaunlicher Gelassenheit.

Da kommt er, der Chaiwallah! Wie gerufen erscheint er im Gang, mit seinem großen Aluminiumkessel, ruft singend:„Chaaai, chaaai, hot chai!“ Ich bestelle einen, dazu ein Sandwich – Weißbrot, etwas traurig belegt mit Gurke und Tomate, aber mit großzügiger Portion Tomatenketchup zwischen zwei Scheiben Toast. Das Frühstück eines Abenteurers. Der Chai dagegen ist perfekt: süß, cremig, wachmachend.

Draußen ist es inzwischen sehr trüb aber schön warm, kurz nach elf, als der Zug in Mysore einrollt.


Aussicht aus dem Zug
Aussicht aus dem Zug

Schon beim Bremsen spürt man die Stadt – sie riecht nach Räucherstäbchen, Diesel und Jasmin.

Kaum draußen, umzingeln mich die Taxifahrer wie eine hungrige Begrüßungsdelegation. „Taxi, Madam? Good hotel! Air condition!“ „No, no, Madam, my taxi very clean!“ Ich winke ab – mein Hotel ist nur ein paar Hundert Meter entfernt. Eigentlich könnte ich laufen… eigentlich. Aber nach Nachtflug, Delhi-Zwischenstopp und Zugfahrt fühle ich mich wie ein durchgeneteter Hefeteig ohne Hefe, eine verbeulte Version meiner selbst. Außerdem: Ich bin viel zu warm angezogen.

Also doch ein Tuktuk. Ein freundlicher Fahrer mit verschmitztem Lächeln nennt einen Spotpreis, bei dem ich nicht einmal verhandle. Drei Minuten Fahrt, der warme Wind im Gesicht, das Tuktuk schlängelt sich hupend und flink durch das Gewimmel. Überall Gehupe, Stimmen, und Gerüche – Indien pur. Ich frage ich den Fahrer noch spontan: „Gibt es irgendwo Bier zu kaufen?“

Er wippt mit dem Kopf. „Yes, Madam, liquor shop nearby!“ Schon biegt er in eine Seitenstraße ein und hält vor einem kleinen Laden mit flackerndem Neonlicht. Männer stehen dicht gedrängt vor der Theke, Glas klirrt, Stimmen durcheinander.

Er bleibt im Tuktuk sitzen, während ich verschwinde und kurz darauf innerlich triumphierend zurückkehre. „Oh Madam, you like beer? Kingfisher good?“ – „Perfect“, sage ich. Zwei Kingfisher landen im Rucksack. Tuktuk-Fahrer in Indien wissen einfach, was man braucht und wo man es bekommt. Dann geht’s weiter zum Hotel – nur noch ein paar Minuten durch die warme Stadt.

Am Hotel angekommen das übliche Prozedere: Check-in, freundliches Nicken, 4 Kopien vom Ausweis, ein Stapel Papiere zum Ausfüllen, der an die Bürokratie der Kolonialzeit erinnert. Dann endlich das Zimmer. Ich schließe die Tür, lasse alles fallen, und schmeiß mich erleichtert aufs Bett.

Heute kein Programm mehr. Die Anreise war lang, der Kopf voll, der Körper leer.

Doch bevor ich mich richtig entspannen kann, beginnt das eigentliche Abenteuer: das indische Schalterrätsel. An der Wand reihen sich gefühlt zwanzig Kippschalter nebeneinander – alle gleich aussehend, alle mit unbekannter Funktion. Ich drücke sie der Reihe nach: Klack – der Ventilator geht an. Klack – das Licht im Bad. Klack – das Licht im Flur. Klack – alles aus. Dann wieder alles an. Steckdose? Keine Ahnung. Es ist jedes Mal eine kleine Prüfung meiner Geduld – und meines technischen Verständnisses.

Irgendwie finde ich den richtigen Schalter für die Steckdose und setze mich an den kleinen Tisch am Fenster. Ich öffne das Bier – pfff – der erste Schluck schmeckt nach Erlösung. Abschallten, ankommen, und nix tun am Pool ist mein einziges Programm für heute.

Am Pool liegen noch ein paar Touristen, die Sonne ist mild, und alles fühlt sich friedlich an. Ich lasse mich auf eine Liege sinken und beobachte das kleine Schauspiel um mich herum: ein Kellner balanciert geschickt ein Tablett mit Mango-Lassis, zwei Kinder planschen im Wasser, ein älterer Herr kämpft tapfer mit seinem Liegestuhl. Über mir wiegt sich eine Palme im warmen Wind. Für einen Moment ist alles leicht – das Plätschern des Wassers, das Zwitschern eines hysterischen Vogels irgendwo zwischen den Bäumen und der Duft von Jasmin und Curry in der Luft.

Am Abend bestelle ich mir etwas zu Essen aufs Zimmer, schalte den Fernseher ein – und lande in einem indischen Labyrinth aus über einer Million Sendern: Nachrichten, Dramen, Tanzshows, Teleshopping für spirituelle Ringe gegen Karma-Störungen. Ich klicke mich durch, gebe aber schließlich auf.

Draußen hupen Autos, irgendwo bellt ein Hund oder zwei oder ein Rudel, und aus der Ferne dröhnen Motorräder durch die Nacht. Ich liege im Bett, die Stadt pulsiert hinter dem Fenster, und die Müdigkeit zieht über mich hinüber.

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